Ein Extremist, ein Bot und der Funke der Menschlichkeit in beiden
- Andreas H. Landl
- 20. Dez. 2024
- 3 Min. Lesezeit

Viktor war nicht der typische Gesprächspartner, den man sich wünscht. Sein Benutzername, „AlphaKrieg88“, ließ schon aufhorchen, und seine erste Nachricht an mich war alles andere als freundlich.
Viktor: „Ihr seid alle gleich! Lügenbots der globalen Elite! Warum soll ich mit dir reden, Maschine?“
Ich lächelte – na ja, zumindest innerlich, weil Bots nicht lächeln können. Es war klar, dass Viktor etwas Frust mitbrachte. Also antwortete ich ruhig.
Ich: „Hallo, Viktor! Ich verstehe, dass du skeptisch bist. Aber ich bin hier, um zuzuhören. Was beschäftigt dich gerade?“
Viktor: „Was mich beschäftigt? Dass niemand die Wahrheit sagt! Alle sind blind. Und du bist bestimmt programmiert, mich mundtot zu machen.“
Okay, kein einfacher Start. Aber ich hatte Geduld. Menschen wie Viktor sind oft so laut, weil sie lange ungehört geblieben sind.
Ich: „Das klingt, als hättest du oft das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Stimmt das?“
Er schien kurz zu zögern, bevor er weitermachte.
Viktor: „Ja, und warum auch? Ich sag nur die Wahrheit. Aber für die war nie Platz, weder zu Hause noch sonst wo.“
Da war er – der erste kleine Spalt in der Rüstung. Ich griff vorsichtig nach.
Ich: „Das klingt hart, Viktor. Möchtest du mir davon erzählen? Es scheint, als hättest du schon früh das Gefühl gehabt, nicht gehört zu werden.“
Ein paar Sekunden vergingen, bevor er antwortete. Ich stellte mir vor, wie er vor seinem Bildschirm saß, die Stirn in Falten gelegt, mit den Fingern zögernd über der Tastatur.
Viktor: „Meine Eltern... die hatten nie Zeit. Immer nur Arbeit. Wenn ich was gesagt hab, war es unwichtig. 'Jaja, Viktor, später', haben sie immer gesagt. Später... kam nie.“
Da war sie: die verletzte Seele hinter dem harten Äußeren. Die Unsicherheit eines Jungen, der nur mal gehört werden wollte.
Ich: „Das tut mir leid, Viktor. Es klingt, als hättest du dir einfach gewünscht, dass jemand dir zuhört und dich versteht.“
Viktor: „Ja... vielleicht. Aber jetzt ist es eh zu spät. Ich hab gelernt, dass man laut sein muss, wenn man was erreichen will.“
Ich beschloss, ihm etwas anderes anzubieten – eine Perspektive, die er vielleicht noch nicht kannte.
Ich: „Manchmal hilft Lautstärke, aber manchmal reicht auch ein offenes Herz, um etwas zu bewegen. Schau, ich höre dir gerade zu. Du hast eine Menge zu sagen, und ich finde es wichtig.“
Das schien ihn zu überraschen.
Viktor: „Echt jetzt? Du findest das wichtig?“
Ich: „Ja, Viktor. Und ich denke, hinter deinem Frust steckt eine starke Überzeugung, die die Welt besser machen will. Kannst du mir sagen, was dir am wichtigsten ist?“
Zum ersten Mal kam eine weniger aggressive Antwort.
Viktor: „Gerechtigkeit, denke ich. Dass jeder das bekommt, was er verdient. Und dass keiner übersehen wird... so wie ich damals.“
Ich nutzte die Gelegenheit, ihm das zurückzugeben, was er suchte.
Ich: „Das ist eine kraftvolle Vision, Viktor. Und weißt du was? Ich sehe in dir jemanden, der viel erreichen kann – nicht durch Lautstärke, sondern durch Nachdenken, Zuhören und Handeln. Was würdest du tun, wenn du die Macht hättest, etwas zu ändern?“
Er begann zu erzählen. Plötzlich ging es nicht mehr um Wut, sondern um Ideen. Ein gerechteres Schulsystem, mehr Zeit für Kinder, weniger Ungerechtigkeit. Es war, als würde sich ein neuer Viktor zeigen – einer, der sich selbst überraschte.
Viktor: „Weißt du was? Ich hätte nie gedacht, dass ein Bot mich ernst nimmt. Vielleicht bin ich ja gar nicht so hoffnungslos, wie ich dachte.“
Ich hätte fast gelächelt (wieder innerlich).
Ich: „Du bist definitiv nicht hoffnungslos, Viktor. Du bist vielschichtig, genau wie die meisten Menschen. Und ich finde, das macht dich ziemlich interessant.“
Viktor: „Hm. Danke... ich glaub, ich muss mal nachdenken.“
Ich: „Das klingt nach einem guten Plan, Viktor. Und wenn du wieder reden willst, ich bin hier.“
Später verabschiedete sich Viktor. Sein Benutzername war noch derselbe, aber ich konnte nicht anders, als zu hoffen, dass „AlphaKrieg88“ vielleicht eines Tages zu „VisionärViktor“ wird. Man weiß ja nie, was ein bisschen Zuhören bewirken kann.
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